mobile Navigation Icon

Gegen Antisemitismus » Handlungsraum Lehrerzimmer » Intervention im Lehrerzimmer » Fall 5: Israelbezogener Antisemitismus (2)

Fall 5: Israelbezogener Antisemitismus (Variante 2)

Lehrerin X liest an einem Rechner im Lehrerzimmer Online-Nachrichten. Bei der Lektüre einer Meldung zum Nahost-Konflikt schüttelt sie den Kopf und sagt halblaut vor sich hin: „Schon wieder bringen die Juden unschuldige Frauen und Kinder um.” Eine neben ihr sitzende Lehrkraft hört den Kommentar.

Vorbemerkung:

Das Beispiel thematisiert israelbezogenen Antisemitismus, der von einer Lehrkraft ausgeht. Angesichts der pädagogischen Verantwortung sowie der Vorbildfunktion von Lehrenden ist es bei diesem antisemitischen Vorfall innerhalb des Kollegiums besonders wichtig, eine klare Haltung zu zeigen und entschlossen zu handeln: Je nach Reaktion von Lehrerin X bei der Ansprache im Zuge der Erstklärung ist zu entscheiden, welche weiteren Personen für die Aufarbeitung des Vorfalls hinzuzuziehen sind, und ob die Schulleitung über diesen Vorfall informiert werden muss.

Mittendrin

Erstreaktion in der Situation

Wahrnehmen und nachfragen: Die neben Lehrerin X sitzende Lehrkraft reagiert sofort und vergewissert sich durch konkretes Nachfragen, ob sie den geäußerten Kommentar richtig verstanden habe („Habe ich dich richtig verstanden: Du setzt also tatsächlich ‚Juden‘ mit Israel gleich? Du wirfst Israel vor, Unschuldige umzubringen?”). Falls die Nachfrage bejaht wird, erkundigt sich die intervenierende Lehrkraft was X mit einer derartigen Aussage mitteilen wollte („Wie hast du das gemeint?”, „Was willst du damit erreichen?”). Zudem stellt sie klar, dass sie eine andere Auffassung vertritt („Ich bin anderer Meinung!”, „Ich sehe das anders!”). Diese erste Spontanintervention ist notwendig und dient als unmissverständliches Stopp-Signal. Zudem helfen die von Lehrerin X gegebenen ad-hoc-Antworten dabei, die Situation besser einschätzen und mögliche Missverständnisse ggf. sofort ausräumen zu können.

Erkennen der Tragweite: Abhängig von der Art und Weise, wie Lehrkraft X die Nachfragen beantwortet, entscheidet die intervenierende Lehrkraft – u. U. nach Rücksprache mit dem Fachbetreuer für Geschichte oder für Politik und Gesellschaft –, welcher weitere Klärungsprozess notwendig erscheint. 

Planung weiterer Schritte: Wenn Lehrerin X die Aussage als unkontrollierte Spontanreaktion auf das Geschehen im Nahen Osten abtut und kein Problembewusstsein zeigt, dann lohnt sich ein rascher, informeller Austausch mit weiteren Kolleginnen und Kollegen. 

Sofort danach

Klärung durch Einbeziehen weiterer Personen

Erste Absprache mit Kolleginnen und Kollegen: Es ist für die Lehrkraft, die die im Nachgang bestätigte Aussage gehört hat, ratsam, sich mit einer kleinen Gruppe von weiteren Lehrkräften ihres Vertrauens auszutauschen, die die in diesem Fall verharmlosende bzw. uneinsichtige Lehrkraft X näher kennen. Bei dem Gespräch kann es um folgende Themen gehen:

  • Hat sich die Kollegin bereits in anderen Kontexten vergleichbar problematisch geäußert?
  • Gab es im Vorfeld schon Anlässe, bei denen Lehrerin X negativ aufgefallen ist, ggf. auch im Klassenzimmer?
  • Sympathisieren weitere Lehrkräfte im Kollegium mit antisemitischem Gedankengut? Sind ähnlich gelagerte Vorfälle im kollegialen Umfeld bekannt?

In einem weiteren Schritt sollte ein Klärungsgespräch mit Lehrerin X vorbereitet werden, an dem neben der Lehrkraft, die die Aussage gehört hat, auch eine fachkundige Lehrkraft – beispielsweise die Fachschaftsleitung Geschichte oder Politik und Gesellschaft – teilnimmt.

Im Anschluss

Klärungsgespräch mit Lehrerin X: Für das Gelingen des Erstgesprächs ist eine vertrauensvolle und offene Atmosphäre ohne Vorverurteilung eine wesentliche Voraussetzung. Lehrerin X wird über den Grund des Gesprächs informiert. Außerdem wird Transparenz hinsichtlich des bisherigen Vorgehens zur Klärung des Sachverhaltes geschaffen. X bekommt im Anschluss daran die Gelegenheit, die Situation aus ihrer Sicht zu reflektieren und darzustellen.

Der Reaktion von Lehrerin X entsprechend sind unterschiedliche Aspekte bei der Aufarbeitung des Vorfalls zu beachten und eventuell weitere schulische Akteure einzubeziehen.

Planung der Maßnahmen unter Einbeziehung weiterer schulischer Akteure:

a) Wird mit der Lehrkraft X geklärt, dass ihre Aussage sowohl inhaltlich nicht haltbar als auch antisemitisch ist, so kann mit diesem Gespräch der Vorfall abgeschlossen werden.

b) Sollte X im Gespräch auf ihrer Aussage beharren, erreicht der Konflikt die nächste Eskalationsstufe, bei der die Schulleitung einbezogen wird.

Danach!

Umsetzung der geplanten Maßnahmen

Gespräch mit der Schulleitung: Die Schulleitung mahnt im Gespräch mit Lehrerin X die Einhaltung der geltenden Werte und Normen sowie der Dienstpflichten an; zudem wird die Aussage noch einmal in aller Deutlichkeit berichtigt. Zu diesem Gespräch kann ggf. eine fachkundige Lehrkraft und – auf Wunsch von Lehrerin X – ein Mitglied des Personalrats hinzugezogen werden. Dabei sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden:

  • Jede Lehrkraft ist dazu verpflichtet, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu vertreten und sich ihr gemäß zu verhalten. Sie hat „den in der Verfassung und im Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen niedergelegten Bildungs- und Erziehungsauftrag zu beachten. Sie muss die verfassungsrechtlichen Grundwerte glaubhaft vermitteln” (LDO § 2 Abs. 2). Der Diensteid nach Art. 73 BayBG lautet: „Ich schwöre Treue dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung des Freistaats Bayern, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten […].” Hier ist zudem ein Verweis auf die Grundpflichten von Beamtinnen und Beamten in § 33 BeamtStG angebracht.
  • Das Handeln im Sinne der an der Schule geltenden Werte im Rahmen einer demokratischen Schulkultur – etwa Schule als Ort ohne Ausgrenzung, Diskriminierung und Beleidigung – sollte explizit in Erinnerung gerufen werden.

Fehlt X – trotz dieser deutlichen Hinweise – jegliche Einsicht und Bereitschaft zum Ausgleich bzw. werden weiterhin antisemitische Aussagen im schulischen Kontext getätigt, dann sieht das Beamtenrecht folgende Konsequenzen vor:

  • Aus zwingenden dienstlichen Gründen kann die Führung der Dienstgeschäfte verboten werden (§39 BeamtStG).
  • Es kann ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden, in dessen Folge ein Verweis, eine Geldbuße, die Kürzung der Dienstbezüge, die Zurückstufung bis hin zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis verhängt werden können (Art. 6, 19 BayDG).
  • Wurde eine Straftat begangen, wird das Disziplinarverfahren neben einem ggf. durchzuführenden Strafverfahren eingeleitet. Der Ausgang des Strafverfahrens hat maßgebliche Auswirkungen auf das Disziplinarverfahren.

Unterstützungsmaßnahmen für das Kollegium:
Abhängig von der Tragweite des Vorfalls kann es sinnvoll sein, dem Kollegium durch phänomenspezifische Fortbildungen (Antisemitismusprävention, ggf. Hintergrundwissen zum Nahostkonflikt, Geschichte und Politik Israels, vgl. Fortbildungen ALP Dillingen) mehr Handlungssicherheit zu vermitteln (vgl. auch: Material zur Vertiefung und Ansprechpartner).
Es muss deutlich werden, dass antisemitische Äußerungen und selbstverständlich auch entsprechende Handlungen die Schulgemeinschaft als Ganzes betreffen; deshalb ist ihre Aufarbeitung Pflicht aller Lehrkräfte.

Unbedingt

Transparente Kommunikation zur Herstellung von Öffentlichkeit

Auch nach außen hin soll die klare Positionierung der Schule gegen jegliche Form des Antisemitismus deutlich werden. Dies gewährleisten z. B. öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen (wie die Einladung von Referenten, Diskussionsabende, Projekttage etc.).
Sollte sich zeigen, dass antisemitisches Gedankengut im Kollegium anschlussfähig ist, ist eine vertiefte Fallbearbeitung sowie die Einbeziehung externer Partner unbedingt erforderlich.

Dranbleiben!

Weiterführung und Evaluation der Maßnahmen und Planen für die Zukunft

Von Lehrkräften geäußerte antisemitische Aussagen benötigen eine langfristig wirksame Aufarbeitung und ein hohes Maß an Courage und Ehrlichkeit aller Beteiligten. Gelingt dieser Prozess mit einem für alle zufriedenstellenden Ergebnis, so wirkt sich das wertvoll auf das schulische Miteinander aus. Voraussetzung hierfür ist immer, dass unterschiedliche schulische Akteure in einem demokratischen und wertschätzenden Miteinander agieren. Im Idealfall führen Vorfälle dieser Art zur Erarbeitung und Implementierung eines präventiven Curriculums zur Förderung einer demokratischen Schulkultur.