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Fall 3: Israelbezogener Antisemitismus im Unterricht

Im Unterricht äußert eine Schülerin: „Israel ermordet Kinder - und die Welt schweigt. Aber alle berichten sofort darüber, wenn ein Palästinenser einen Stein schmeißt."

Vorbemerkung:

Das Beispiel thematisiert eine Form des israelbezogenen Antisemitismus, der in unterschiedlichen schulischen Situationen – etwa, wenn der Nahostkonflikt Gegenstand des Unterrichts ist – zum Ausdruck kommen kann. Wichtig ist es, dass die Lehrkraft in der Situation Präsenz zeigt und sich solchen Äußerungen entgegenstellt.

Keine Lösung ist es, das Thema Nahostkonflikt aus Angst vor weiteren Konfrontationen zukünftig im Unterricht zu vermeiden. Erst dadurch, dass die historische Entstehung und Entwicklung des Konflikts in einer neutralen Lernumgebung und angeleitet von einer die unterschiedlichen Perspektiven analysierenden Lehrkraft vermittelt wird, können die Lernenden historisches Wissen erwerben, eine sachlich-kritische Analysefähigkeit aufbauen – und sich antisemitischen Stereotypen entgegenstellen.

Die Lehrkraft selbst muss in dieser Situation handlungssicher agieren. Das setzt voraus, dass sie zum einen über fundiertes Wissen zur Geschichte und politischen Situation Israels und zum Nahostkonflikt verfügt (vgl. Linkliste, Fortbildungen der ALP Dillingen). Zum anderen ist es ratsam, die eigene Haltung kritisch zu reflektieren, um so besser den Stereotypisierungen und Dämonisierungen Israels entgegentreten zu können.

Darüber hinaus muss die Lehrkraft in der beschriebenen Unterrichtssituation erkennen, dass der Nahostkonflikt lediglich als Projektionsfläche für einen tiefer liegenden Antisemitismus dient. Da offener Antisemitismus in Deutschland gesellschaftlich weitgehend geächtet ist, verstecken sich antisemitische Ressentiments häufig hinter Kritik am Staat Israel und seiner Politik (vgl. Definition Antisemitismus).

Mittendrin

Erstreaktion in der Situation

Wahrnehmen und erkennen: Die Lehrkraft unterbricht die Unterrichtssituation sofort und erklärt, dass sie der Aussage nicht zustimmt (Beispiel: „Deine Aussage ist inhaltlich falsch – und kann nicht unkommentiert stehen bleiben.“). Sie erkennt möglicherweise sofort, dass der Aussage ein israelbezogener Antisemitismus zugrunde liegt, der der Aufarbeitung bzw. Klärung innerhalb der Lerngruppe bedarf.

Selbst wenn die Lehrkraft in der Situation selbst die Einordnung der Aussage in den Phänomenbereich des israelbezogenen Antisemitismus nicht unmittelbar vornehmen kann, so ist die Aussage in der dargestellten Gut-Böse-Dichotomie so stereotyp und einseitig israelfeindlich, dass eine Reaktion der Lehrkraft unbedingt geboten ist.

Erstreaktion:
Gegenüber der Lerngruppe setzt die Lehrkraft ein klares „Stopp-Signal“ und gibt zu verstehen, dass sie mit dieser inhaltlich falschen Aussage nicht einverstanden ist. Eine konsequente Reaktion der Lehrkraft in einer derartigen Situation ist auch deshalb sinnvoll, weil so im weiteren Verlauf eine Auseinandersetzung mit den Mechanismen und der Funktion derartiger Äußerungen erfolgen kann. Dabei soll verdeutlicht werden, dass sich hinter der einseitigen Gut-Böse-Zuschreibung dieser Äußerung und der Bezeichnung Israels als „Kindermörder“ antisemitische Stereotype verbergen. Dies gilt auch für Äußerungen, in denen Israelis mit Nationalsozialisten gleichgesetzt werden. Derartige Äußerungen, die Jüdinnen und Juden dämonisieren, sind eindeutig antisemitisch motivierte Anfeindungen.

Ausblick auf die weitere Aufarbeitung: Die Lehrkraft kündigt der Lerngruppe an, dass eine weitere inhaltliche Aufarbeitung basierend auf dem historisch-politischen Hintergrund des Nahostkonflikts sowie zu den unterschiedlichen Ausprägungen von Antisemitismus folgen wird.

Sofort danach

Einbeziehen weiterer Personen

Weiterer Unterrichtsverlauf: Das weitere unterrichtliche Vorgehen ist stark abhängig von unterschiedlichen, die Lerngruppe wie die Lehrkraft betreffenden Faktoren; dazu zählen etwa die Dynamik der Lerngruppe und die biographischen Hintergründe der Lernenden ebenso wie die Fähigkeit der Lehrkraft, verschiedene Schülermeinungen zu dieser Thematik zu moderieren.  

Auflösung der Situation durch Wissen und Perspektivwechsel: Fühlt sich die Lehrkraft, die mit dieser Aussage konfrontiert wurde, inhaltlich, methodisch und in ihrem Wissen um die Lerngruppe sicher, kann sie zunächst ohne weitere Unterstützung im Unterricht fortfahren. Da die Schüleräußerung sich wohl im Geschichts-/Politik- und Gesellschaftsunterricht-, Ethik- oder Religionsunterricht aus der thematischen Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand ergeben hat, muss deutlich festgestellt werden, dass die Aussage falsch ist (vgl. Hinweise zur Gesprächsführung bei antisemitischen Äußerungen). Im weiteren Fortgang kann - je nach Situation und Fachkompetenz der Lehrkraft - geklärt werden, warum die Aussage falsch ist. Dabei ist empfehlenswert, mit den Lernenden auch Perspektivwechsel vorzunehmen. Das bedeutet, dass mit den Lernenden, die jüdisch-israelische und die palästinensisch-arabische Sichtweise eingenommen wird, um zu verdeutlichen, was einseitig-stereotype und kategorisierende Bemerkungen bei den unterschiedlichen Betroffenen bewirken. Die Schülerinnen und Schüler werden somit ermutigt, den Konflikt aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und offen nachzufragen.
Diese Vorgehensweise setzt bei der Lehrkraft ein hohes Maß an Wissen, Sozial- und Moderationskompetenz sowie Sensibilität im Umgang mit divergierenden Schülermeinungen voraus.

Aufschub und Klärung: Besteht nicht ausreichend Klarheit und Sicherheit bei der unterrichtenden Lehrkraft, lohnt sich ein Aufschub, um Zeit für die Aufklärung und weitere Maßnahmenplanung zu gewinnen. Dabei ist es allerdings wichtig, dass sie das Verhalten als problematisch markiert und sich klar dagegen positioniert. So gewinnt die Lehrkraft Zeit, sich auszutauschen, Informationen über die Schülerin sowie die Klasse einzuholen und zu planen, durch wen das Thema wann aufgegriffen wird. 

Die Schülerin, die die Aussage getätigt hat, wird zu einem kurzen Gespräch nach der Stunde bestellt. Dabei soll eruiert werden, aus welcher Motivation diese Äußerung erfolgt ist. Es gilt, ihr offen und ohne Vorverurteilung zu begegnen.
Gegebenenfalls wird der weitere Verlauf der Unterrichtsstunde zeigen, ob in der Gruppe der Lernenden noch mehr israelfeindliche bzw. antisemitische Klischeevorstellungen vorhanden sind, die Gegenstand einer umfassenden Aufarbeitung in einer der folgenden Stunden sein müssen.

In Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen und anderen Erziehungsberechtigten werden die Gründe/Motive der Schülerin erkundet. Ist sie mit vergleichbaren Aussagen schon einmal aufgefallen? Gibt es biographische Bezüge zu dieser Thematik in ihrem Leben? Wie ist sie sozial eingebunden? Gibt es andere Gleichgesinnte – vielleicht auch außerhalb der Klasse/Schule? Was denken ihre Eltern oder andere wichtige Bezugspersonen darüber?

Schutz von Betroffenen: Sind in der Lerngruppe jüdische Schüler und Schülerinnen, so sollte strikt der Eindruck vermieden werden, sie seien Experten für die israelische Politik im Nahostkonflikt. Gerade diese falsche Identifikation ist auch Teil von israelbezogenem Antisemitismus. Zugleich sollten sie von Beginn an in den Blick genommen werden, wobei darauf zu achten ist, inwieweit sie sich direkt von der Aussage betroffen fühlen oder explizit davon adressiert wurden. Um ihre Bedürfnisse und Anliegen zu erfahren, wird ein vertrauliches Gespräch mit ihnen geführt.

Unbedingt

Kollegiale Beratung und weitere Kommunikation

Absprache der Lehrkräfte untereinander: Sollte klar sein, dass die Schülerin auf ihrer antisemitischen Haltung beharrt und die Äußerung nicht aus Naivität oder Unwissenheit heraus erfolgt ist, so lohnt es sich, im kollegialen Austausch Informationen über die Jugendliche zusammenzutragen:

  • Was ist über die Schülerin bekannt, die die Aussage getätigt hat? Hat sie bereits in anderen Stunden einseitig polemische oder politisch, religiös bzw. geschichtlich verzerrte Ansichten geäußert?
  • Besteht Kenntnis über weitere Vorkommnisse dieser Art in der Schülergruppe?
  • Wie wird die Sozialdynamik generell in dieser Schülergruppe eingeschätzt?
  • Sind Vorfälle dieser Art über das beobachtete Ereignis hinaus bereits an der Schule festgestellt worden?

Je nachdem, wie diese Fragen beantwortet werden, entscheiden die beteiligten Lehrkräfte, welche weiteren schulischen Ansprechpartner – etwa die Schulleitung, das Kollegium, Beratungslehrkräfte – involviert werden, ob Eltern gezielt miteinbezogen werden sollten und welche Maßnahmen zu treffen sind.

Maßnahmen planen:
Die Aussage der Schülerin soll in den folgenden Stunden aufgearbeitet werden. Für den Fall, dass auch andere Lehrkräfte der Klasse antisemitische Einstellungen der Lernenden wahrgenommen haben, ist eine koordinierte, fächerübergreifende Auseinandersetzung mit antisemitischen Einstellungen geboten. Hierfür können die folgenden Unterrichtsmaterialien hilfreich sein:  

Und los!

Umsetzung

Die nachfolgenden, der Aufarbeitung des Vorfalls gewidmeten Stunden werden zeigen, inwiefern es darüber hinaus sinnvoll sein kann, in die Lerngruppe außerschulische Partner einzuladen, die beispielsweise Workshops zur Antisemitismusprävention durchführen.

Gegebenenfalls kann es auch angebracht sein, dem Kollegium durch schulinterne Fortbildungen zu einzelnen Themenbereichen (Hintergrundwissen Nahostkonflikt, Politik und Geschichte Israels, Antisemitismusprävention) mehr Handlungssicherheit zu ermöglichen. Auch hier bietet sich die Einbindung von außerschulischen Partnern an. Dabei muss deutlich werden, dass die Aufarbeitung antisemitischer Äußerungen keinesfalls eine Angelegenheit einzelner Fachlehrkräfte ist, sondern eine Aufgabe, die Lehrkräfte aller Fächer und letztlich die Schulgemeinschaft als Ganzes betrifft.

Danach

Evaluation der Maßnahmen und Planen für die Zukunft

Im Idealfall führen Vorfälle dieser Art zur Erarbeitung und Implementierung eines präventiven Curriculums zur Förderung einer demokratischen Schulkultur.